Montag, 19. April 2010

Was ist Kundenorientierung?

Mit dieser Frage habe ich mich die letzten Tage intensiv beschäftigt. Spannend war, diese Frage in den verschiedenen Situationen beantworten zu können: einmal in meinem aktuellen Beratungsprojekt und dann in der alltäglichen Rolle des Kunden – sei es im Hotel Mercure oder beim Schneider.

 
Nicht nur Vertriebsabteilungen müssen sich heute damit auseinandersetzen, wie sie den Kunden von den eigenen Leistungen und Produkten überzeugen. Immer häufiger treten Stabsabteilungen an uns heran. Der Auftrag: „Wir wollen uns besser im Unternehmen positionieren.“ „Unser Image soll steigen.“ Viele sind schon damit zufrieden: „Wenn unsere (internen) Kunden überhaupt verstehen, was wir hier tun und wofür sie uns nutzen können – das wäre schon ein großer Gewinn.“ Nicht selten sind es Personalabteilungen, die sich nun als HR Business Partner aufstellen wollen. Oder auch IT-Abteilungen, die um ihre Reputation im Unternehmen ringen.

 
„Wo ist denn das Problem?“, fragen sich die meisten jetzt. Neu ist für die Mitarbeiter dieser „internen“ Abteilungen das Verständnis, dass sie überhaupt einen Kunden haben. Die Schwierigkeit liegt zusätzlich darin, dass man sich diesen Kunden auch in der Regel nicht aussuchen kann. Man muss nicht um ihn werben. Er ist ja da! Man muss ihn auch nicht begeistern. Er bleibt ja da! Diese Kundenbeziehung positiv zu gestalten, den Kunden zu führen, ihn zu beraten, mit ihm Lösungen zu erarbeiten und eine Leidenschaft dafür entwickeln, diesen Kunden immer wieder zufrieden zu stellen, ist daher nicht immer leicht.

 
Die herausfordernde Aufgabe besteht darin, sich zu überlegen, wie man die eigene Kundenorientierung steigern könnte. Dabei verstehen viele Kundenorientierung als mehr Freundlichkeit. Doch das reicht nicht! Im RATER-Modell findet man 5 Aspekte (siehe auch SERVQUAL Modell von Zeithaml, Parasuraman & Berry): 
  • Kundenorientierung ist Verlässlichkeit (Reliability)
  • Kundenorientierung ist Leistungskompetenz (Assurance)
  • Kundenorientierung ist das äußere Erscheinungsbild (Tangibles)
  • Kundenorientierung ist Einfühlungsvermögen (Empathy)
  • Kundenorientierung ist Reaktionsvermögen (Responsiveness)

 
Und dann kommt da noch ein weiterer Aspekt hinzu: Was unterscheidet meinen Schneider vom Mercure Hotel in Düsseldorf? Flexible Kundenorientierung auf den ersten Blick, wenn ich mich an meine Erfahrungen der letzten Woche erinnere. Während mein Schneider meine Zufriedenheit trotz Reklamation steigern konnte, ist es dem Mercure Hotel nicht gelungen, mich und meinen Kollegen als Kunden zu behalten. Was war genau passiert?

 

 
Das Problem werden jetzt viele Frauen verstehen, die nicht mit 1,80 Körpergröße gesegnet sind (Eva, diesen Part einfach überlesen): Neue Hose, aber leider zu lang. Mit zwei Paar Schuhen bewaffnet (eins mit hohen Absätzen, eins mit etwas weniger hohen Absätzen) bin ich zum Schneider gestapft, um mir die neue Hose kürzen zu lassen. Gesagt, getan, abgeholt, angezogen: Zu lang für meine Ballerinas ohne Absätze! Meine Reklamation traf auf wenig Verständnis seitens meines Schneiders: „Ihr Frauen müsst Euch entscheiden, welche Schuhe Ihr tragen wollt! Zweimal die Woche steht eine hier drin und will, dass ich die Hose noch mehr kürze. Also, ich kürze sie nochmal, aber das nächste Mal überlegen Sie sich bitte VORHER, welche Schuhe Sie dann dazu tragen.“ Ergebnis: Ich bin sichtlich erleichtert, hoch zufrieden und mit leicht schlechtem Gewissen rausgegangen und werde in Zukunft auch weiterhin meine Hosen dorthin bringen - aber natürlich mit einem niedrigen Paar Schuhe.

 

 
Ähnliche Situation zwei Tage zuvor: Wir reservieren verbindlich ein Zimmer in Düsseldorf zu Messezeiten. Wie so häufig im Berateralltag verschiebt sich spontan ein Kundentermin und wir wollen das Zimmer wieder freigeben. „Unmöglich, das widerspricht unserer internen Policy. Da können wir leider nichts machen. Sie müssen das Zimmer bezahlen.“ Keine Erklärung, was diese Policy genau besagt und warum keine andere Lösung möglich ist. Mal ganz abgesehen davon, dass GERADE während einer Messe das Zimmer leicht wieder zu verkaufen wäre, möchte ich als Kunde nicht hören, dass man da nichts machen kann. Ich wünsche mir in einer solchen Situation kreative Lösungen – auch wenn es nur das Angebot ist: Wir versuchen, Ihnen zu helfen und versuchen, das Zimmer weiterzuverkaufen. Wenn es nicht verkauft werden kann, dann hätten wir es schon übernommen. Übrigens hat mein Schneider mein Kompromissangebot, die Hälfte für das Kürzen zu zahlen, abgelehnt.

 

 
Natürlich geht es bei einer Zimmerreservierung um mehr Geld, doch das mehrmalige Hosenkürzen bei Kundinnen scheint ebenso ein häufiger Effekt zu sein, der sich für meinen kleinen griechischen Schneider sicher auch finanziell nieder schlägt. Dennoch ist es meinem Schneider besser gelungen, die individuellen Kundenbedürfnisse zu berücksichtigen und sich flexibel der Situation anzupassen. Er sieht es eben als strategische Investition in die langfristige Kundenbeziehung. Dogmatisches Festhalten an Policies und Vorgaben ist unflexibel und für den Kunden oft unverständlich. Zumindest hätte ich mir eine plausible Erklärung vom Mercure Hotel für die mangelnde Kulanz gewünscht und nicht einen überforderten Rezeptionsangestellten, der die Policy selbst nicht versteht: „Ich verstehe Sie voll und ganz Frau Vlahovic, ganz ehrlich: Ich verstehe diese Richtlinie auch nicht ganz!“ Ah ja…

 

 
Und während ich diesen Beitrag im ICE schreibe, weil kein Flieger sich in die Aschewolke aus Island traut, kommt die überaus freundliche Bahnangestellte zum 6. Mal in 2 Stunden in unser Abteil, um zu fragen, ob wir etwas aus dem Speisewagen wünschen. Und zum 6. Mal erhält sich ein von Mal zu Mal genervteres „Nein, Danke, wir wollen (noch immer) nichts!“ von meinen Mitfahrern und mir zu hören. Man kann es auch übertreiben mit der Kundenorientierung… Das Geheimnis ist das rechte Maß zu finden. Und dafür braucht es Sensibilität und ein feines Gespür für die Bedürfnisse des Kunden, schlicht und ergreifend Einfühlungsvermögen. Der manche hat es, der andere nicht – Freundlichkeit hin oder her!

Lucija