Lies mich (nicht)!

In Zeiten von iPad, eBook und dem guten alten Internet vergisst man schnell, wieviel Spaß es macht, ein richtiges Buch zu lesen. Mit echten Seiten, die auch mal Eselsohren bekommen können und die nicht abstürzen, wenn der Akku mal leer ist. Und auf die man auch mal was kritzeln kann, wenn einem danach ist. Für mich ist es wirklich ein besonderes "Event", wenn ich auf der Couch oder im Zug mal nicht den Laptop hochklappe, sondern das Buch auf.

Der Markt für (laien-)psychologische Literatur boomt. Gerade in Zeiten der "Krise" (ist dieses Wort jetzt endlich mal zum Unwort des Jahre gewählt worden?) versuchen viele vermeintliche Experten, ihr Wissen in ein Hardcover zu packen und für viel Geld zu vermarkten. Es lohnt sich, genau hinzulesen, ob ein Buch echten Mehrwert bringt - oder nur Zeitverschwendung ist. Ich persönlich bin wählerisch geworden - gerade, weil die eKonkurrenz nur einen Mausclick entfernt ist.

Und genau darum geht es hier - um Bücher, die man lesen sollte. Und um die, um die man Amazon nicht unbedingt erleichtern muss.

Stefanie



Das Buch:
"... Aber nicht um jeden Preis - Karriere und Lebensglück", Gross, Werner; Kreuz-Verlag (2010)


Meine Meinung dazu:
Er taucht bereits in der dritten Zeile des ersten Kapitels auf: Der Begriff, der einfach nicht mehr in unsere Zeit passt – vielleicht auch noch nie gepasst hat: Work-Life-Balance. Und ich frage mich, warum ein erfahrener Psychotherapeut, der auch noch auf berufliches Krisenmanagement spezialisiert ist, dieses Wort immer noch verwendet. Durch „Work-Life-Balance“ erfährt Arbeit eine unangemessene Abwertung, da sie dann ja per definitionem nicht Leben sein kann. Der Mensch muss also immer an zwei Fronten kämpfen, um sein Glück zu finden. Kein hilfreiches Bild in der heutigen Zeit, in der wir bis ins hohe Alter arbeiten werden (müssen).

Wer mit diesem Bild klar kommt und wer für das Leben den Kampf mit der Arbeit aufnehmen will, wird in dem Buch fündig werden. Werner Gross beschreibt darin ausführlich, welchen Herausforderungen der gemeine Arbeitnehmer bzw. Manager heutzutage gegenübersteht. Dabei geht es um die Mühen des Aufstiegs und um Burnout. Um Doppelverdiener und um vermeintliche Rabenmütter. Um Arbeitssucht und um Boreout. Und ganz oft geht es um Leiden: Die Leiden der modernen Frau, die Leiden der Männer und dazu noch die Leiden der Manager. Durchwirkt werden diese Ausführung von kurzen Fallstudien, „kleinen Tipps“, „bedenkenswerten Fragen“ und einer ganzen Reihe von Literaturhinweisen. Ein bisschen schwierig ist es, beim Lesen den roten Faden zu finden. Mal wird ausführlich analysiert, mal gibt es Ratschläge. Mal richten sich Botschaften an Vorgesetzte, dann wieder an Mitarbeiter. Mal werden seitenweise psychologische Modelle vorgestellt, mal aus der Praxis berichtet.
 Wer den roten Faden in den ersten zwei Kapiteln nicht gebraucht hat, wird ihn auch im dritten nicht vermissen. Hier schreibt Gross ganz offiziell über Auswege und Hilfen aus der Arbeitsmisere. Jetzt geht es um die großen Klassiker wie Coaching, Sabbatical, Downshifting und Job Enrichment – und man schließt das Buch mit dem etwas diffusen Gefühl, den Kampf gegen die Arbeit irgendwie schon gewinnen zu können.
 Trotz einiger handwerklicher Schwächen muss dem Autor zu Gute gehalten werden, dass er beim Leser ein starkes Bewusstsein für die Herausforderungen schafft, denen Menschen am Arbeitsplatz gegenüber stehen können. Demnach ist die Lektüre durchaus für junge oder unerfahrene Führungskräfte geeignet, die sich neu in das Thema einarbeiten möchten. Auf dem Schreibtisch eines versierten Kollegen „vom Fach“ würde das Buch wohl eher verstauben.

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