Montag, 30. Januar 2012

Höher, schneller, weiter… Burnout?!


Dem Phänomen „Burnout“ begegnet man heutzutage in nahezu jedem Arbeitskontext; in großen Unternehmen, Kleinbetrieben, aber auch an Universitäten und Schulen zeigen viele Menschen typische Burnout-Symptome. Dazu gehört zum Einen natürlich das Gefühl des „Ausgebranntseins“ selbst, hinzu kommen viele weitere negative Emotionen und Mangelerscheinungen wie Hoffnungslosigkeit, Energiemangel, Kopfschmerzen und sogar Suizidgedanken. 
Obwohl diese Problematik schon seit ca. 30 Jahren populärwissenschaftlich unter die Lupe genommen wird, ist immer noch nicht klar, in welche Kategorie psychischer Erkrankungen das Burnout-Syndrom tatsächlich einzuordnen ist. In den beiden Diagnosesystemen DSM-IV*und ICD 10 wird man auf der Suche nach der Diagnose Burnout jedenfalls nicht fündig. Das Burnout-Syndrom entzieht sich also bisher einer eineindeutigen Definition.
Sucht man hingegen bei Amazon nach Literatur zu diesem Thema, stößt man auf Unmengen von Selbsthilfebüchern und Ratgebern, die einem „Wege aus dem Burnout“ aufzeigen möchten.

Als kritisch empfindet jedoch der Psychologe, Coach und Buchautor Markus Väth das blinde „Herumdoktern“ an den Symptomen, ohne dabei die Ursachen des Phänomens genau zu kennen und diese in eine erfolgreiche Therapie mit einzubeziehen. Burnout sei nämlich ein strukturelles und kein individuelles Problem, so Väth in einem Interview mit Heike Littger für changeX.

Verantwortlich für Burnout macht er zum Einen die Firma bzw. die Führungskraft hinter dem erschöpften Mitarbeiter. Da der Mitarbeiter selbst über keinerlei Gestaltungsmacht über die Geschäftsprozesse verfügt, die ihn krank machen, wird er schnell zum schwächsten Glied der Kette.
Zum Anderen aber sei laut Väth die gesellschaftliche Leitkultur der „kollektiven Erfolgsgeilheit“ im Wesentlichen Schuld am Massenphänomen Burnout. Seine provokante These, die sich dahinter verbirgt, ist Folgende: Burnout wird bei manchen Menschen bereits in der Kindheit „programmiert“. Und zwar wenn sie von „Vätern, die nicht gelernt haben, Gefühle auszudrücken“, Zuwendung ausschließlich gegen Leistung erhalten und damit zum lebenslangen Perfektionismus- und Leistungsstreben verdammt werden.

Sicherlich spielt die heutige Leistungsgesellschaft eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Depression, Anpassungsstörung, Burnout und Co. Alles ist schneller und vernetzter mit WLAN und Smart-Phone, ständige Erreichbarkeit und eine permanent herausragende Leistung sind elftes und zwölftes Gebot in der Arbeitswelt von heute. Dennoch ist unserer Erfahrung nach die „kollektive Erfolgsgeilheit“ allein noch kein Garant für Burnout.
Besonders in diesem Fall ist das Zusammenspiel der einzelnen Wirkfaktoren nämlich sehr vielschichtig und komplex: daher eignet sich aus unserer Sicht ein multifaktorielles Entstehungsmodell viel eher, um ein psychisches Leiden wie Burnout ausreichend zu beschreiben. Da wären eben nicht nur die zahlreichen gesellschaftlichen Ursachen oder Stressoren, wie die stetig wachsende Komplexität des modernen Lebens und der Zwang der Globalisierung und des Zeitdrucks. Zudem kommen verschiedene arbeitsbedingte, wie z.B. ein konfliktreiches Arbeitsumfeld und Überforderung sowie persönliche Belastungsfaktoren, wie Stress im Privatleben und übermäßiger Ehrgeiz hinzu. Nicht zu vergessen ist aber natürlich auch die eigene Fähigkeit, mit diesen Belastungsfaktoren umzugehen – kurz gesagt die eigene Resilienz.

Sehr spannend ist die letzte Passage des Artikels, in der Väth eine Untersuchung des Statistischen Bundesamts zitiert. Laut dieser erlitt die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr 456 Millionen Euro Verlust allein durch die Fehlzeiten ihrer ausgebrannten Arbeitskräfte.
Allein was diesen finanziellen Aspekt betrifft, ganz zu Schweigen vom Fachkräftemangel, kann sich Deutschland Burnout also definitiv nicht leisten – ein Umdenken muss her!
Und wer weiß, vielleicht messen wir zukünftig den Fortschritt unserer Gesellschaft mit einem Glücksindex statt mit dem Bruttoinlandsprodukt. Forscher schlagen erstmals ernsthaft vor,
einen Glücksindex einzusetzen, der die Zufriedenheit und damit ein
Stück weit auch die mentale Gesundheit der Bevölkerung misst. Das wäre ein Riesenfortschritt!
* = Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen