Montag, 23. Juli 2012


Bildquelle: Wikipedia
Kind und Karriere

Der kürzlich im US-Magazin The Atlantic erschienene Essay „Why women can’t have it all“ befasst sich mit der Vereinbarkeit von Kindererziehung und Karriere berufstätiger Frauen und scheint damit den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Innerhalb kurzer Zeit wurde er über eine Million Mal angeklickt und löste eine neue Welle einer bekannten Debatte aus, die nun auch über den Atlantik zu uns herüber schwappt. 

Die Autorin, Anne-Marie Slaughter (53), hatte eine Spitzenposition als Direktorin des Planungsstabes von US-Außenministerin Hillary Clinton inne. Diese gab sie aber ihrer Kinder zuliebe auf, weil sich dieser Job nicht damit vereinbaren ließ, gleichzeitig eine gute Mutter zu sein.

Das Thema der Vereinbarkeit von gutem Eltern-Dasein und Karriere ist kein neues. Slaughters Argumente wurden schon oft diskutiert – beispielsweise auch in Susan Pinkers „Das Geschlechter Paradox” – dennoch gelingt es ihr, diese Thematik, die oftmals kurze Zeit nach ihrem Aufkochen wieder im Sande verlief, neu aufzurollen und Viele anzusprechen.

Mit vielem, was Slaughter schreibt, hat sie Recht – vor allem damit, dass die Art und Weise, wie die Wirtschaft und Gesellschaft heutzutage strukturiert ist, ein großes Problem für berufstätige Eltern ist. Ein großes Ärgernis an ihrem Essay ist jedoch, dass die zu einer schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie führende Arbeitskultur als ein reines Frauenproblem dargestellt wird. Sie argumentiert mit Stereotypen. So seien Männer bereitwilliger ihre Familie für den Beruf zu opfern und würden auf ihre unter zeitlich bedingtem Fürsorgemangel leidenden Kinder anders reagieren als Frauen. Zum einen mag dies zwar auf einige Väter zutreffen, doch längst nicht auf alle und zum anderen befinden sich alle Männer, die nicht so denken, in derselben misslichen Lage wie Frauen.

Indem Slaughter diese Work-Life-Problematik in die feministische Ecke schiebt, verbaut sie sich eine große Chance: Die Mehrzahl der heutigen Entscheidungsträger, also diejenigen, die an der jetzigen Situation etwas zu ändern vermögen, sind immer noch Männer. Diese fühlen sich aber durch ein Frauenthema weniger angesprochen und  messen dem in der Tat bedeutenden Problem der zukünftigen Arbeitskulturentwicklung eine geringere Bedeutung bei, als wenn diese Thematik als unisexuelles Problem kommuniziert würde.

Wer aber sind eigentlich die Leidtragen dieser Problematik? Sind es die Kinder? Die Eltern? Der Arbeitgeber? Stellte man diese Frage einem breiten Publikum, würde man wohl überwiegend die beiden erstgenannten Antworten erhalten, schließlich ist ja der Arbeitgeber der Profiteur, wenn man sich für ihn und gegen die Familie entscheidet. Doch dieses lineare Denken greift laut Peter Senge zu kurz. Senge ist Autor des Klassikers „Die fünfte Disziplin“, welcher auf einem systemischen Denken aufbaut und das Thema Lernende Organisation behandelt. Dieses betont die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Systemen und verneint eine isolierende Betrachtungsweise*. 

Zwei dieser Systeme, die miteinander in Wechselwirkung stehen, sind die Berufswelt und das Familienleben. Nach einer systemischen Betrachtungsweise führen Probleme zu Hause zu Problemen im Beruf. Nach Senge sind Konflikte zwischen Arbeitswelt und Familienleben sogar eine der Hauptursachen für unproduktive Arbeiter. Statt sich stets neue Programme zur Führungsförderung im Sinne von Business-Skills-Erweiterung auszudenken, sei es oft sinnvoller, den Leuten zu zeigen, wie sie erfolgreiche Eltern – und damit auch erfolgreichere Führungspersönlichkeiten werden. 

Unternehmen erfüllen also nicht nur ihren Angestellten und deren Kindern sondern auch sich selbst einen Gefallen, wenn sie Slaughters Forderung nachkommen, eine Arbeitskultur zu etablieren, die Kinder und Karriere besser vereinbar macht. Denn persönlich ausgeglichene Menschen mit einem intakten Familienleben sind auch produktivere  Führungskräfte und Mitarbeiter. 

*Eine isolierende Betrachtungsweise orientiert sich an linearen Ursache-Wirkungs-Ketten und konzentriert sich auf unverbundene Einzelelemente. Senge lehnt sie ab, da sie unsere hochkomplexen Systeme nicht in befriedigender Weise erfassen könne.