Der kürzlich im US-Magazin The Atlantic erschienene Essay
„Why women can’t have it all“ befasst sich mit der Vereinbarkeit von
Kindererziehung und Karriere berufstätiger Frauen und scheint damit den Nerv
der Zeit getroffen zu haben. Innerhalb kurzer Zeit wurde er über eine Million Mal
angeklickt und löste eine neue Welle einer bekannten Debatte aus, die nun auch
über den Atlantik zu uns herüber schwappt.
Die Autorin, Anne-Marie Slaughter (53), hatte eine
Spitzenposition als Direktorin des Planungsstabes von US-Außenministerin
Hillary Clinton inne. Diese gab sie aber ihrer Kinder zuliebe auf, weil sich
dieser Job nicht damit vereinbaren ließ, gleichzeitig eine gute Mutter zu sein.
Das Thema der Vereinbarkeit von gutem Eltern-Dasein und
Karriere ist kein neues. Slaughters Argumente wurden schon oft diskutiert –
beispielsweise auch in Susan Pinkers „Das Geschlechter Paradox” – dennoch
gelingt es ihr, diese Thematik, die oftmals kurze Zeit nach ihrem Aufkochen
wieder im Sande verlief, neu aufzurollen und Viele anzusprechen.
Mit vielem, was Slaughter schreibt, hat sie Recht – vor
allem damit, dass die Art und Weise, wie die Wirtschaft und Gesellschaft
heutzutage strukturiert ist, ein großes Problem für berufstätige Eltern ist.
Ein großes Ärgernis an ihrem Essay ist jedoch, dass die zu einer schlechten
Vereinbarkeit von Beruf und Familie führende Arbeitskultur als ein reines
Frauenproblem dargestellt wird. Sie argumentiert mit Stereotypen. So seien
Männer bereitwilliger ihre Familie für den Beruf zu opfern und würden auf ihre
unter zeitlich bedingtem Fürsorgemangel leidenden Kinder anders reagieren als
Frauen. Zum einen mag dies zwar auf einige Väter zutreffen, doch längst nicht
auf alle und zum anderen befinden sich alle Männer, die nicht so denken, in
derselben misslichen Lage wie Frauen.
Indem Slaughter diese Work-Life-Problematik in die
feministische Ecke schiebt, verbaut sie sich eine große Chance: Die Mehrzahl der
heutigen Entscheidungsträger, also diejenigen, die an der jetzigen Situation
etwas zu ändern vermögen, sind immer noch Männer. Diese fühlen sich aber durch
ein Frauenthema weniger angesprochen und
messen dem in der Tat bedeutenden Problem der zukünftigen
Arbeitskulturentwicklung eine geringere Bedeutung bei, als wenn diese Thematik
als unisexuelles Problem kommuniziert würde.
Wer aber sind eigentlich die Leidtragen dieser Problematik?
Sind es die Kinder? Die Eltern? Der Arbeitgeber? Stellte man diese Frage einem
breiten Publikum, würde man wohl überwiegend die beiden erstgenannten Antworten
erhalten, schließlich ist ja der Arbeitgeber der Profiteur, wenn man sich für
ihn und gegen die Familie entscheidet. Doch dieses lineare Denken greift laut
Peter Senge zu kurz. Senge ist Autor des Klassikers „Die fünfte Disziplin“,
welcher auf einem systemischen Denken aufbaut und das Thema Lernende
Organisation behandelt. Dieses betont die Wechselwirkungen zwischen
verschiedenen Systemen und verneint eine isolierende Betrachtungsweise*.
Zwei dieser Systeme, die miteinander in Wechselwirkung
stehen, sind die Berufswelt und das Familienleben. Nach einer systemischen
Betrachtungsweise führen Probleme zu Hause zu Problemen im Beruf. Nach Senge
sind Konflikte zwischen Arbeitswelt und Familienleben sogar eine der
Hauptursachen für unproduktive Arbeiter. Statt sich stets neue Programme zur
Führungsförderung im Sinne von Business-Skills-Erweiterung auszudenken, sei es
oft sinnvoller, den Leuten zu zeigen, wie sie erfolgreiche Eltern – und damit
auch erfolgreichere Führungspersönlichkeiten werden.
Unternehmen erfüllen also nicht nur ihren Angestellten und
deren Kindern sondern auch sich selbst einen Gefallen, wenn sie Slaughters
Forderung nachkommen, eine Arbeitskultur zu etablieren, die Kinder und Karriere
besser vereinbar macht. Denn persönlich ausgeglichene Menschen mit einem
intakten Familienleben sind auch produktivere Führungskräfte und Mitarbeiter.
*Eine
isolierende Betrachtungsweise orientiert sich an linearen
Ursache-Wirkungs-Ketten und konzentriert sich auf unverbundene Einzelelemente.
Senge lehnt sie ab, da sie unsere hochkomplexen Systeme nicht in befriedigender
Weise erfassen könne.