Freitag, 25. März 2011

„Erzählen Sie doch mal eine Geschichte…!“

Eine gute Geschichte zu erzählen ist eine Kunst. Denn sie muss den Zuhörer nicht nur fesseln und faszinieren, sondern unterhaltsam sein und zugleich auch emotional berühren. Wenn ich über tolle Geschichten nachdenke, bahnt sich eine Assoziation besonders aufdringlich ihren Weg: Ich denke an meine Schulzeit und an die Pausen - ein konstantes und geselliges Summen schwebt über den Schulfluren. Damals wurden viele Geschichten erzählt, immer gab es etwas zu lachen, aber auch zu lernen. Das Phänomen Storytelling beschränkt sich nicht nur auf diese, mir besonders in Erinnerung gebliebene, soziale Situation. Auch im Change Management hat das Storytelling eine große Bedeutung.
Harold A. Goolishian, amerikanischer Psychologe und Urvater der systemischen Familientherapie, erkannte den Menschen als sprachschöpferisches und Sinn erzeugendes Wesen. Goolishian`s Schlussfolgerung daraus ist, dass „Bedeutung und Verständnis … kulturell und zwischenmenschlich ‚konstruiert‘ [sind] und … so Realität [erzeugen].“ Gerade weil Sinnzusammenhänge durch Geschichten entstehen, erhält die Sprache und das Narrativ einen besonders hohen Stellenwert. Durch den informellen Austausch von Erzählungen und Anekdoten in der Kaffeeküche einer Organisationen erhält man Zugang zum impliziten Wissen der Mitarbeiter. Deren Erfahrungen, Entscheidungen und versteckte unternehmens-kulturelle Werte kommen an die Oberfläche, werden weitergegeben und bringen Lernprozesse in Gang. Erfolgreich macht das Storytelling vor allem sein einfacher, bildhafter und identitätsstiftender Charakter.
Die folgende Erzählung liefert Führungskräften ein hervorragendes Beispiel, wie sich die Mitarbeiter für das „Große und Ganze“ begeistern lassen und wie ihrer Arbeit Sinnhaftigkeit verliehen werden kann:

„Ein Mann flaniert müßig durch die Stadt, als er zu einer Baustelle kommt. Drei Maurer sind damit beschäftigt, Stein auf Stein zu mörteln. Es interessiert ihn, was hier wohl für eine neues Gebäude entstehen soll, und so fragt er den ersten Maurer, was er da mache. Der antwortet ziemlich unwirsch: „Das sehen Sie doch. Ich mauere Backsteine aufeinander.“ Diese Antwort befriedigt den Flaneur nicht, er geht weiter zum zweiten Maurer und stellt erneut seine Frage. Der blickt kurz auf und antwortet: „Ich baue eine Mauer.“ Die Wissbegierde des Spaziergängers ist natürlich immer noch nicht befriedigt, und so wendet er sich mit seiner Frage an den dritten Arbeiter. Der richtet sich auf, lächelt und antwortet mit strahlenden Augen: „Ich baue die neue Kathedrale unserer Stadt.“
aus „Storytelling für Führungskräfte, Kommunizieren und führen mit authentischen Geschichten“ von Karolina Frenzel, Springerlink Verlag (2008)

Eine gute Geschichte steht und fällt mit einer klaren und eindeutigen Botschaft. Der Erzähler muss sich ganz genau überlegen, wem, wann und mit welchem Ziel er seine Geschichte erzählen möchte. Ist sie dann auch noch spannend und hat die Begebenheit tatsächlich so stattgefunden, so ist die Aufnahmesperre garantiert durchbrochen und das Herz des Zuhörers im Sturm erobert. Also, wenn Sie das nächste Mal in der Kaffeeküche ihres Unternehmens stehen, erzählen Sie doch mal eine Geschichte!

Anastasia Chestatskaia


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