Montag, 4. Oktober 2010

Film ohne Gewissen

Vor wenigen Tagen habe ich - trotz Wiesnzeit - Dirndl gegen Jeans eingetauscht und bin mit meinem Freund ganz klassisch ins Kino. „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ stand auf unserem Samstag-Abend-Programm. Ein Film über genau den Film, der während des Dritten Reichs von den Nationalsozialisten als Propagandainstrument eingesetzt wurde, um den Hass gegen die jüdische Rasse in der Bevölkerung zu schüren.
Um was es in diesem Film ganz genau geht – darum geht es Regisseur Oskar Röhler nicht. Ja, im Mittelpunkt steht ein Jude, der im 18. Jahrhundert Verfassungsbruch begannen hat, dem persönliche Bereicherung und Vergewaltigung einer Arierin vorgeworfen wurde und der am Ende des Films aufgehängt wird. Mehr muss der Zuschauer nicht wissen, mehr erfährt er auch nicht. Röhler richtet die Scheinwerfer auf einen ganz anderen Aspekt, der bisweilen – zumindest im deutschen Film – oft vernachlässigt wird: Auf den Täter, auf seine Gedankenwelt, seine ambivalente Haltung zu Recht und Unrecht, auf die Liebe zu seinem Beruf, der er erliegt, und auf die Liebe zu seiner Frau, die dahinter wortwörtlich verschwindet.
Der „Täter“, das ist der mittelmäßige österreichische Schauspieler Ferdinand Marian, der von Joseph Goebbels die Hauptrolle des „Jud Süß“ angeboten bekommt, der sie nach einigen durchwachten Nächten übernimmt und dessen Leben sich dadurch radikal verändert. Marian, der im eigenen Gartenhaus einem Juden Zuflucht vor der SS gewährt, wird zeitgleich zum Protagonisten und zur Symbolfigur der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten. Mit allen Konsequenzen.
Der Film regt zum Nachdenken an – wenn man es schafft, die Inhalte auf sich wirken zu lassen und nicht den Ablenkungen zu erliegen, die entstehen, wenn sich ein Regisseur zu sehr ins Detail verliebt. Dann entstehen Einsichten in Gedankengänge von Menschen, die zu schwach, zu naiv und vielleicht auch zu selbstbezogen waren, um dem NS-Regime die Stirn zu bieten. Dann stellt man sich während und nach dem Film die Frage, ob man selbst Karriere und auch Sicherheit an den Nagel gehängt hätte, um seine Moral zu schützen und sich vor eine Minderheit zu stellen. Und diese Frage stellt man sich, ohne dabei das eigene Unrechtsbewusstsein in Frage zu stellen – das macht die Diskussion nach dem Film erst spannend und wertvoll. Mir und meinem Freund war und ist natürlich klar, was man EIGENTLICH hätte tun müssen – aber ob wir TATSÄCHLICH so und nicht anders gehandelt hätten, das bleibt wie so oft offen. Was nach dem Film bleibt, ist dennoch ein Stück gewachsenes Verständnis für den vermeintlichen Täter, für seine Situation und sein Dilemma – ohne, dass der Protagonist dabei zum tragischen Helden ernannt wird. Und genau das finde ich das eigentlich Besondere an „Jud Süß – Film ohne Gewissen“: Der Versuch des Regisseurs, die Person des Marians, des Mit-Täters und Mit-Läufers, zum Gegenstand zu machen. Und nicht die Opfer, wie in so manch anderen Filmen.
Ein Wagnis – so schien das auch der Regisseur zu sehen. Schließlich will man sich ja gerade in Deutschland politisch korrekt verhalten, besonders in Zeiten, in denen das deutsche Kino im Ausland so angesehen ist wie nie zuvor. Und so überlädt Röhler den Film mit zu vielen Klischees, Nebenhandlungen und erfundenen Details – aus meiner Sicht, um dem Zuschauer das Gefühl zu geben, dass die Filmemacher schon wissen, wo Recht und Wahrheit liegen. Der junge aufstrebende Nazi mit kurzgeschorenen Haaren, hervorstehendem Kinn und energischer Stimme, das kleine Mädchen, dass in der Schule ein Anti-Juden-Gedicht lernen musste und Vater und Mutter dabei maßlos entsetzt, die im KZ ermordete Gattin Marians, deren Amulett auf wundersame Weise nach Kriegsende zum Ehemann findet. Das war aus meiner Sicht „over the top“ und hat den Gesamteindruck eher reduziert als bereichert, ebenso wie ein Moritz Bleibtreu in der Rolle des Goebbels – insgesamt gut gemeint, aber auch einfach „zu viel des Guten“.
Selber sehen, selber Gedanken machen, selber darüber reden. Mit sich, dem Nachbarn oder dem Partner. Denn wenn Veränderung entstehen kann, dann nicht auf der Leinwand – sondern in unseren Köpfen.

Stefanie

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