Dienstag, 16. November 2010

Mensch oder dummes Stück Fleisch?

Was mich die letzten Wochen beschäftigt hat, war die Frage: Welches Menschenbild haben Ärzte von ihren Patienten? Meine Erfahrungen basieren auf ca. 10 Kontaktpunkten zu drei Ärzten. Keine repräsentative Stichprobe, doch genug, um mir diese Frage stellen zu dürfen. Ich habe mittlerweile starke Zweifel daran, dass ich von diesen drei Ärzten als eigenständig denkendes, intelligentes und emotionales Wesen gesehen werde. Dabei geht man davon aus, dass Ärzte in ihrer Ausbildung nicht nur physisch-chemische Zusammenhänge lernen, sondern auch eine psychologische Kompetenz im Umgang mit kranken Menschen entwickeln. Durch meine Erfahrungen mit dem medizinischen System in den letzten Monaten bin ich mir da nicht mehr ganz sicher, worauf die Ausbildung abzielt und welchen Anteil an der mangelnden Sozialkompetenz meiner Ärzte die stetigen Kürzungen im medizinischen Versorgungssystem haben. Sie könnten also, wenn sie dürften! Sie wollen aber nicht, weil sie es nicht bezahlt kriegen! Eine kränkende Erkenntnis für mich, doch ein logisches Ergebnis aus der Tatsache, dass Krankheit ein Geschäft ist.

Gemäß der Kontrolltheorie (Frey & Greif, 1997) sind Menschen bestrebt, Ereignisse und Zustände in ihrer Umwelt kontrollieren zu können, d.h. konkret: Wir wollen Dinge erklären, vorhersagen und beeinflussen können. Bei meinen letzten Behandlungen haben meine Ärzte nicht besonders viel Wert darauf gelegt, mir das Gefühl zu geben, ich könne in dem Genesungsprozess etwas kontrollieren, etwas erklären, etwas vorhersagen oder beeinflussen. Dass einem das kein gutes Gefühl bei der Arztwahl und beim Heilungsprozess gibt, liegt auf der Hand. Natürlich hatte ich immer die freie Wahl darüber, ob die Behandlung durchgeführt wird, doch eigentlich wusste ich nicht, warum gerade diese Behandlung, welche anderen Alternativen es noch gab, welche Vor- und Nachteile diese für mich hätten und warum der Arzt nur diese Behandlungsart für den richtigen nächsten Schritt hielt. Meistens habe ich noch nicht einmal verstanden, was mir fehlte. Ich musste mich mit Aussagen begnügen wie: „Ich vermute, sie haben X, nehmen sie Y. Wenn es nicht besser wird, kommen sie in 14 Tagen wieder.“ Ich musste mir das Gefühl an Kontrolle erzwingen, indem ich penetrant gefragt habe (Was heißt das? Wieso? Weshalb? Warum?). Ich bin damit nicht auf Gegenliebe gestoßen. Im Gegenteil, ich kam mir vor, wie ein lästiger, besserwisserischer und anstrengender Kunde, wenn der Arzt widerwillig, einsilbig und leicht genervt antwortete. Kontrolle habe ich dadurch wiedererlangt, indem ich einfach im Internet gegoogelt habe was z.B. ein Morton Neuron ist. Meinen Orthopäden habe ich damit wahnsinnig gemacht, als ich die verschriebenen Tabletten nicht genommen habe, weil ich im Internet den Hinweis gefunden habe, dass es vor 2 Jahren eine Rückrufaktion gab und manche Apotheken immer noch vor dem Medikament warnen. „Genau aus dem Grund habe ich 7 Jahre Medizin studiert! Weil Sie die Lösung nicht im Internet finden!“ Gut, verständlich. Aber weniger verständlich war der Nachsatz: „Nur weil sie so intelligent sind, erkläre ich Ihnen das alles jetzt so genau. Ich bekomme dafür nur 27,50 Euro von der Krankenkasse.“ Ah ja, gut zu wissen, dass er meine Fragen bereitwilliger beantworten würde, wenn er das doppelte Honorar abrechnen dürfte. Außerdem sind 27,50 Euro für 10 Minuten gar nicht so schlecht!

Ich glaube gar nicht, dass Ärzte grundsätzlich kein Interesse am psychischen Wohlbefinden Ihrer Patienten haben. Sie haben nur wenig Behandlungszeit zur Verfügung und müssen mit Leistungen sehr effizient umgehen. Dabei nehmen sie in Kauf, dass die Beziehung und die Vertrauensebene zwischen ihnen und dem Patienten darunter leidet. Doch leider vernachlässigen Sie, dass das notwendige Vertrauen nicht durch einen Satz Smalltalk am Anfang aufgebaut werden kann – in meinem Fall immer: „Wo kommen Sie her, Sie haben keinen deutschen Namen?“ Denn nur mit viel Vertrauen in die Kompetenz und die Erfahrung des Arztes ist die Kontrollmotivation des Patienten verringert. Vertrauen entsteht bei mir vor allem dadurch, dass der Arzt mich ernst nimmt, mir den Sachverhalte erklärt und mir die Möglichkeit gibt, nachzufragen. Stichwort: Transparenz! Nur weil der Arzt weiß, wo Kroatien liegt, heißt das noch lange nicht, dass ich ihm blind vertraue. Solange ich kein Vertrauen zu ihm habe und er mir auch nicht das Gefühl der Kontrolle vermitteln kann, fühle ich mich ziemlich ausgeliefert, weil der Prozess, die Sprache und die Diagnose nicht durchsichtig genug für mich sind.

Letztendlich geht es um die Anwendung der Change Management Prinzipien in der Patientenkommunikation. Denn ähnlich wie in einem organisationalen Veränderungsprozess ist auch Kranksein mit Unsicherheit und Ängsten verbunden und eigentlich ein richtiger Change. Da könnte sich so manch ein Arzt starke und glaubwürdige Führungskommunikation von guten Change Managern abschauen (siehe unser Hebel 2).

Was kann man tun? Ich für meinen Teil werde den drei Ärzten wohl auch weiterhin mit meinen Fragen auf die Nerven gehen - solange bis die Ärzte merken, dass diese Entwicklung gefährlich für das medizinische System ist.

1 Kommentar:

  1. Super Artikel und jetzt stell Dir bitte vor, daß Du ernsthaft erkrankt bist, mit notwendiger stationärer Behandlung. Da bist Du diesem beschriebenen Sozialverhalten der weißen Kittelträger noch umso mehr ausgesetzt.
    Roland, 17. November 2010

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