Seit etwas mehr als 15 Monaten fand beim Spiegel ein Prozess statt, den ich von außen als „tiefgreifenden Change Prozess“ bewerten würde. Die Rahmenbedingungen habe ich schon oft in anderen Unternehmen gesehen:
Ein neuer Chef kommt mit der Erfahrung eines erfolgreichen,
stark Top Down und direktiv gestalteten Unternehmensumbaus an die Spitze eines
Unternehmens, das in heftigen Turbulenzen steckt. Durch technologischen Wandel
getrieben, werden die Gesetze des Marktes und des erfolgreichen Agierens in
diesem Umfeld neu geschrieben. Die Eigentümer des Unternehmens geben dem neuen
Chef den Auftrag, das Unternehmen umzubauen, mächtige Ressortfürsten zu
entmachten, mit Traditionen zu brechen und den ökonomischen Einbruch
aufzuhalten. Der neue Chef überträgt seine Erfolgsrezepte zu Change Management
auf das neue System, entwickelt innovative Strategien, die er gegen alle
Widerstände durchsetzt und ist am Schluss erfolgreich und wird gefeiert.
Beim Spiegel war das anders – Wolfgang Büchner ist
gescheitert und hinterlässt lt. SZ vom 5.12.2014 „ein Schlachtfeld“. Warum
könnte dieser Prozess mißlungen sein und damit zu den ca. 70% der Change
Prozesse zählen, die als gescheitert gelten?
Meine Hypothesen dazu unter Anwendung der ersten vier
unserer 8 Hebel der Veränderung:
Hebel 1 - Klare Ziele
und Erwartungen:
Beim Spiegel gehören 50,5% der Anteile den Mitarbeitern. Die
mächtige Leitfigur des Spiegel, Rudolf Augstein, hatte dem Chefredakteur die
Erwartung ins Stammbuch geschrieben, er habe sich als „Angestellter der
Redaktion“ zu verhalten. Selbstverständnis und Zielsetzung des Spiegel war
immer, ein Leitmedium für großen und kritischen Journalismus zu sein. Damit gab
es Zielkonflikte zwischen den ökonomischen Zielen und den Kernwerten der Marke,
die anscheinend nicht ausreichend verhandelt wurden. Dieses Risiko gibt es in
anderen Change Projekten auch. Nur dass in einem Unternehmen, das zu 50,5% den
Mitarbeitern gehört, diese Zielkonflikte intensiver verhandelt werden müssen
als in anderen Unternehmen, die der Mitbestimmung, aber nicht der
Mit-Eigentümerschaft vonseiten der Belegschaft unterliegen. Aus der
Medienberichterstattung der letzten 15 Monate erschien der Eindruck, als ob das
Mentale Modell des Chefs gewesen wäre, er habe die Macht, die Ziele und
Erwartungen autokratisch setzen zu können. Ein „Missverständnis“ wie die SZ
schreibt.
Lessons Learned für mich als Change Management Beraterin:
die Zielkonflikte und Machtverteilungen müssen in jedem System neu betrachtet
werden. „Starke“ Führungskräfte scheitern oft, weil sie die Geduld nicht
mitbringen, in diesen Aushandlungsprozess über „Klare Ziele und Erwartungen“
einzutreten. Sie haben nicht das Funktionieren des Gesamtsystems im Blick
sondern glauben, die Ziele von Teilen des Systems durchdrücken zu können. Das
geht schon, aber oft gibt es „hidden powers“, die man im Blick haben sollte.
Hebel 2 - Kraftvolle
und glaubhafte Führungskommunikation:
Gelungene Kommunikation bedeutet Kontakt, Verständnis und
Andocken, heißt nicht nur Ansage, sondern Ringen um die beste Lösung im Dialog.
Das geht nur über Verständnis und Verständigung. Da Wolfgang Büchner
anscheinend weniger Journalist als Manager war, ist ihm das anscheinend mit den
Meistern der Sprache, den selbstbewussten und mächtigen Redakteuren und
Ressortleitern nicht gelungen.
Hebel 3 – Echte
Partizipation:
Ein Kernstück des Wandels waren die Zusammenlegung des
Print- und Online Journalismus mit der Folge, dass sich alle Ressortleiter neu
um ihre Leitungsjobs bewerben sollten. Man kann sich vorstellen, dass beide
Vorhaben für die Beteiligten „rote Tücher“ darstellen, gegen die sie alle
Widerstände aufbringen, die zur Verfügung stehen. In einem Unternehmen, in dem
die Widerständler zu den Eigentümern zählen und über ihr eigenes Schicksal mit
entscheiden können, kann man solche tiefgreifenden Änderungen nicht in 15
Monaten durchdrücken. Auf der anderen Seite wird die ökonomische Notwendigkeit
zum Umbau nicht weniger, wenn man sich für den Beteiligungsprozess mehr Zeit
lässt. Trotzdem wäre anscheinend in dem Zieldreieck Time-Cost Quality eindeutig
mehr Zeit für Einbindung und gemeinsame Entscheidungsfindung sinnvoll gewesen.
Hebel 4 –
Rollenvorbild:
„Beim Spiegel ist jetzt trotzdem das Konzept gescheitert, an
die Spitze der Redaktion einen Manager zu setzen, der nicht ebenso
publizistisch überzeugt“ (SZ vom 5.12.2014). Wenn der Chef nicht als
Rollenvorbild glaubhaft wirkt und keine Akzeptanz in der Fachlichkeit hat,
werden ihm die Menschen nicht mit voller Kraft folgen. Das sehen wir sehr oft
in den Unternehmen. Zudem hat sich Wolfgang Büchner anscheinend bewusst oder
unbewusst als Rollenvorbild für die Attraktivität von Scheitern positioniert,
indem er Elon Musk, den Gründer von TESLA als sein Rollenvorbild zitiert hat
mit seiner Antwort auf die Frage des Journalisten in autobild, ob er damit
gerechnet habe, erfolgreich zu sein: „ Nein ganz im Gegenteil. Ich hatte
erwartet zu scheitern. Ich glaube an den Satz: Wer nicht scheitert, war nicht
innovativ genug „. Eine solche Positionierung des obersten Change Leaders ist
auch nicht unbedingt motivierend für einen dramatischen Umbauprozess, der
vielen Menschen Schmerzen bereitet.